Samstag, 20. Juli 2013

...längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab

Als  Schulkind hat jeder in meiner Generation noch das Gedicht über den  "Herrn von Ribbeck auf Ribeck im Havelland" gelernt mit seinem "Lütt Dirn, kumm man röwer, ich hebb 'ne Birn". In diesem Gedicht wächst aus der dem Toten mitgegebenen Birne ein neuer Birnbaum mit Birnen für die Kinder.

Aus verschiedensten Gründen habe ich in den letzten Jahren besonders viel über Tod und Sterben und die damit verbundenen Riten nachgedacht.

Carl Zuckmayer: 
Menschen, die wir lieben, sterben nicht. 
Sie sitzen an unserem Tisch,
sie gehen durch unsere Stube,
sie trinken aus unserem Glas
und in der Stille können wir sie hören.

Die Gedanken zum Tod sind in allererster Linie auch von unserem Glauben, unserer Erziehung und unserem Wertebild geprägt. Im Christentum geprägt von der Hoffnung auf Auferstehung, Tod bedeutet nur das Vergehen der Körperlichkeit, die menschliche Seele ist unsterblich. 
Bei den Christen wie auch den Muslimen oder Juden folgen die Bestattungsvorschriften festgesetzten Regeln was Beerdigung, Grabbeigaben, Reden, Fürbitten, Musik, Leichenzug, Leichenschmaus oder Trauermahl und anschließende Trauerzeit angeht. Anonyme Bestattungen sind nicht vorgesehen, es bleibt viel Platz für persönlichen Abschied und individuelle Trauer und gibt uns gleichzeitig durch die Ritualisierung Halt und Sicherheit.

Bis heute sind die alten Friedhöfe in den Metropolen Europas Oasen der Stille und Räume für das Innehalten in der Schnelllebigkeit unserer Zeit. Sie sind Orte voller historisch interessanter Sehenswürdigkeiten und außergewöhnlichen Grabstätten voll von Denkmälern der Architektur und Geschichte. Idyllische Plätze und Fotomotive finden sich nicht nur auf dem alten Südfriedhof in München (u.a. liegen hier Fraunhofer und Spitzweg), leider ist dieser Friedhof nur noch Denkmal. Viele andere sind aber noch lebendig wie der Wiener Zentralfriedhof, der Friedhof in Hamburg Ohlsdorf, der Melatenfriedhof in Köln, der Père Lachaise in Paris, der jüdische Friedhof in Prag, der Cimitero Monumentale in Mailand oder der Cemiterio dos Prazeres in Lissabon. Manch ein Friedhof schützt die Gräber vor dem Verfall durch Patenschaften wie auf Melaten, da darf der Pate seine letzte Ruhestätte eines Tages selbst beziehen. Gerne bin ich auch auf dem kleinen Bogenhausener Friedhof, wo viele Münchner Persönlichkeiten mit kleinen hübschen Eisenkreuzen beerdigt wurden und werden.

Hier ein paar Fotos von meinen Spaziergängen über Friedhöfe:


Alter südlicher Friedhof München

Alter südlicher Friedhof München an der Thalkirchenerstraße

alter Südfriedhof München




Bogenhausener Friedhof
Bogenhausener Friedhof
Bogenhausener Friedhof
Bogenhausener Friedhof
Bogenhausener Friedhof


Lissabon
Lissabon
Jüdischer Friedhof in Bonn

Melatenfriedhof in Köln

Melatenfriedhof in Köln

Melatenfriedhof in Köln

Melatenfriedhof in Köln

Melatenfriedhof in Köln

Melatenfriedhof in Köln
Melatenfriedhof in Köln

Melatenfriedhof in Köln

Nördlinger Friedhof


Zuletzt komme ich auf den Punkt, warum mich dieses Thema überhaupt beschäftigt:
Auf der einen Seite hat mich schon als Schülerin die Idee Sartres und die Vorstellung, daß die Toten um uns herum sind, fasziniert. Außerdem ist Verlust, Trauma, Abschied und Trauer ein Teil meines beruflichen Alltags. Hier gibt es unterschiedliche Wege, Facetten und Gestaltungsvorstellungen - viele sind in ihrer Trauer sehr allein. Sie finden Zuhörer in Trauergruppen oder Internetforen. Sie nehmen Abschied indem sie Briefe vom Wind verwehen lassen, Blütenblätter in einen Fluß streuen, Stelen bauen. Meine Toten sind wie bei Sartre oder Zuckmayer um mich herum, ich höre sie in der Musik von Händel oder Bach, ich begegne ihnen in den Bergen, in den Blumen meines Gartens, in den Bildern, zwischen den Zeilen von Büchern. Manchmal denke ich beim Kochen an sie, manchmal sitze ich neben ihnen in einer Kirche, ganz selten sind sie auf dem Friedhof.
Bürokratisierung und Vorschriftenunwesen machen auch vor dem Tod und den Friedhöfen nicht Halt. Unter dem Vorwand der Gleichbehandlung aller wird eine fast inhumane Vereinheitlichung über den Tod hinaus geschaffen. Man darf zwar eine Seebestattung wählen oder die Urne ins Ausland bringen lassen, aber wie Ribeck unterm Birnbaum im Garten oder auf seinem Lieblingsplatz in den Bergen liegen darf man nicht. Um eine Urne selbst zu gestalten muß man viele Hürden überwinden, dafür wird für die Desinfektion des Sarges (wofür eigentlich?) vor der Verbrennung eine Gebühr erhoben.
Ein Angehöriger, der in einem anderen Bundesland gewohnt hat und dort verstorben ist, dessen halbe Familie von dort stammt, darf nicht auf dem kleinen Dorffriedhof beerdigt werden, auf dem die halbe Sippe liegt, weil die noch Lebenden nicht dort, sondern in anderen Bundesländern oder im Ausland leben. Der handgeschnitzte hölzerne auferstandene Christus - jahrzehntelang das Grabkreuz der Familie darf wegen seiner Höhe, obwohl nicht andeutungsweise so hoch wie die Denkmale auf Melaten, nicht aufs Grab. Normierung allerorten - Breite, Höhe etc. - gleichzeitig bewundern wir die alten Friedhöfe um ihrer Individualität halber. Wegen der Vorschriften und der Frage der Grabpflege flüchten dann viele in Friedwälder oder anonyme Bestattungen auf Grabfeldern, dem Ende einer jahrhundertealten Kultur der Trauer.








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